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22.05.2025

Man wundert sich manchmal, wie eben doch systemkritische Dinge passieren konnten


 

"Wir hatten Spaß, uns wurde was geboten, aber im Hintergrund bröckelt die Mauer", sagt "Micco" Dotzauer über ein Foto, das ihn und seinen Bruder Ende der fünfziger oder Anfang der sechziger Jahre auf einer Faschingsfeier in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zeigt. Auf dem Foto trägt sein Bruder ein Kleid in Regenbogenfarben. "Später durfte ich es endlich tragen", ergänzt Dotzauer, der sich in der DDR und nach seiner Flucht 1988 auch in Westdeutschland für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzte. Das ist eines der Themen bei dem Vortrag, den er an diesem Freitag Mitte Mai vor der Klasse 9c und seinen Verwandten aus Essingen bei Landau sowie vor einigen Gästen im Max-Slevogt-Gymnasium Landau hält. Die 9c hatte sich durch ein Jugendbuch mit den Verhältnissen in der kommunistischen Diktatur DDR auseinandergesetzt und einer der Schüler hatte von seinem Großonkel - Micco Dotzauer - erzählt. Diesem wurde 2024 für sein Engagement zugunsten der Aids-Seelsorge und seinen Einsatz für die Rechte von Schwulen das Bundesverdienstkreuz am Bande zugesprochen. Er führte von 2011 bis 2022 im Hamburger Viertel St. Georg die Contact-Bar. Am 11.11. 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, kehrte Micco Dotzauer von einer genehmigten Reise nach Westdeutschland nicht mehr in die DDR zurück. In Leipzig hatte er zuvor für die Schwulenbewegung gekämpft und war unter anderem in der evangelischen Kirche engagiert. Er arbeitete im Arbeitskreis (AKHS) der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig mit.

An diesem Freitag in der Pfalz ist dem ehemaligen DDR-Bürger aber wichtig, mit Klischees aufzuräumen. Wie schlimm die Bespitzelung durch den DDR-Geheimdienst "Staatssicherheit" (Stasi) war, habe er eigentlich erst nach dem Mauerfall 1989 aus seinen Stasi-Akten erfahren. "Wir haben uns in der Kirchengemeinde getroffen und im Scherz auch unsere Freunde von der Stasi im Auto draußen begrüßt." Später habe er aus den Akten erfahren, dass die da wirklich im Auto saßen. Zwar sei er nur von Bekannten, aber nicht von engen Freunden und Familienmitgliedern ausspioniert worden, aber er sei dann doch erschrocken, als er zum Beispiel erfahren habe, dass sie von drei Leuten ausspioniert wurden, als sie Mitte der achtziger Jahre am ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald einen Kranz zum Gedenken an die ermordeten Homosexuellen niedergelegt hatten.

Zunächst sei er überzeugter Kommunist gewesen sei. Nachdem er den Pfälzer Jugendlichen die Jugendorganisationen der DDR vorgestellt hat - Jungpioniere, Thälmann-Pioniere und Freie Deutsche Jugend - erzählt er, dass er während seiner Zeit in der Nationalen Volksarmee (NVA) überzeugt war, etwas gegen den aggressiven Kapitalismus unternehmen zu müssen. "Ich bin auch in die SED eingetreten", also in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Aber er habe eben auch immer mehr Veranstaltungen organisiert, auf denen er sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen eingesetzt habe. Die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Studentengemeinde sei einer der ganz wenigen Orte in der DDR gewesen, "wo man offen über seine Sexualität sprechen konnte", so Micco Dotzauer. Manche, die dich dort engagierten, seien extrem verfolgt worden, zum Beispiel einer der Gründer der kirchlichen Schwulenbewegung in der DDR, Eduard Stapel. "Den wollte die Stasi umbringen, indem sie planten, ihm eine Überdosis Insulin zu spritzen", erzählt Micco Dotzauer - das habe Stapel in seinen Stasiakten gelesen, die über 10000 Seiten umfasst hätten. "Auf ihn waren 50 hauptamtliche und 240 inoffizielle Mitarbeiter der Stasi angesetzt", so Dotzauer. Und Aktionen gegen Homosexuelle gebe es auch heute noch. "Das Mahnmal für die während der Nazizeit ermordeten Homosexuellen in Berlin wird regelmäßig geschändet", erzählt der DDR-Zeitzeuge.

Auch er sei dann 1988 geflohen, nachdem er 1986 von einem genehmigten Besuch bei seiner westdeutschen Großmutter wieder zurückgekehrt sei. Schließlich habe es ja in der DDR auch Positives gegeben, wie er während des Vortrags immer wieder betont. Herr Dotzauer hält zum Beispiel einen kleinen blauen Ausweis hoch. "Das haben wir jetzt erst so langsam mit der neuen Patientenakte", sagt er. In der DDR habe das jeder Bürger gehabt und da seien alle medizinischen Eingriffe, Röntgenaufnahmen, Zahnoperationen und so weiter verzeichnet gewesen. Aber als er 1986 dann von dem Besuch im Westen zurückkehrte, "da kam es mir vor, als schließe sich hinter mir eine große schwere Eisentür". 1988 sei er dann von einem zweiten (genehmigten) Besuch bei der Oma nicht mehr zurückgekehrt. "Von da an wurde ich per Haftbefehl von der DDR gesucht", sagt er. Aber er betont bei seinem Besuch am Max-Slevogt-Gymnasium auch immer wieder, was es eben auch gab in der DDR. Er lässt die Schüler zum Beispiel aus dem Buch "Leben wär' eine prima Alternative" von Maxie Wander vorlesen und sagt dazu: "Man wundert sich manchmal, wie doch systemkritische Dinge passieren konnten."

"Ich werde oft gefragt: Wurdest du als Schwuler in der DDR gemobbt", sagt er und erzählt von einer Chefin, die ihm und seinem Freund eine begehrte Urlaubsreise verschafft habe. "Es war wie immer. Es kommt auf die Leute an."

 

Text und Bild: Markus Vollstedt

 

Bildunterschrift: DDR-Zeitzeuge Micco Dotzauer berichtet Schülerinnen und Schülern der Klasse 9c des Max-Slevogt-Gymnasiums Landau und Gästen vom Leben als Homosexueller in der Diktatur der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)