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23.11.2022

„Der Mond ist ein blutig Eisen…“ Theaterbesuch „Woyzeck“ in Neustadt


Foto: Brehm-Seufert/Vorankündigung Rheinpfalz

 

Das Theater Ludwigshafen gastiert am 15. November mit „Woyzeck“ im Saalbau Neustadt – oder:  Mit dem Leistungskurs Deutsch des Jahrgangs 12 im Theater, das sich wie ein Musical gab, scheinbar keine Bühne brauchte und doch viel mehr war als das, was man sich unter einer normalen Aufführung so vorstellte…

Ja, das war mehr als das, was der Kurs sich erhoffte.

Endlich wieder Theater. Und dann so eins! Da gibt es ja keine Bühne? Aber irgendwie reicht es. Das Bedrängtwerden Woyzecks durch Wände, durch Menschen über ihm und Stimmen um ihn herum macht Sinn, auch im Sinne Brechts mit totaler Bühnenreduktion.

Das Licht ist gut! Ja, Murnau hätte seine Freude mit den Schattenspielen gehabt.

Da wurde aber viel gesungen?! Wenn man SO singt, ist das auch gut so…

Und so erleben wir alle einen sehr gelungenen Theaterabend. Und welches Stück haben wir da auf den Brettern vor uns liegen? Eines der faszinierendsten - vielleicht auch wegen des Unfertig-Charakters -, eines der menschlichsten und radikalsten der deutschen Theatergeschichte:

„Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“ fragt sich der früh-vollendete Georg Büchner. Und in seinem Dramenfragment „Woyzeck“ finden wir die Antwort.
Hier tritt sie auf, die Kreatur - das Subjekt Woyzeck, das durch seinen eng begrenzten Lebenszirkel hetzt, und es sagt uns – Armut und menschliches Leid treiben ins Äußerste. Erst in die Isolation, dann in den Wahnsinn und schließlich zum Mord. An Marie, mit der er sich gleichzeitig selbst ermordet.

1837 findet man das Manuskript des Dramas in der Schublade des mit 23 verstorbenen Georg Büchners – und noch einmal bis 1913 wird es dauern, bis man sich an eine Erstaufführung in einem deutschen Theater wagt. Und vielen Varianten der Aufführung hat der „Woyzeck“ schon getrotzt: filmisch umgesetzt mit Kinski, auf eine Drehscheibe geschnallte Figuren, die allein dem rhythmisierten Wort vertrauen, und eben auch der musikalischen Fassung von Robert Wilson, Tom Waits und Kathleen Brennan, die seit 20 Jahren deutsche Bühnen dominiert.

Irgendwo ist sie zwischen Art Musical und Dreigroschenoper angesiedelt, wartet sie mit gleichermaßen brutaler wie sensibler Musik auf. Die aggressive Rhythmik sowie die romantischen Melodien spiegeln das Leid von Büchners Figuren. Jahrmarktsmusik, traurige Walzer und melodiöse Balladen greifen die Stimmung einzelner Szenen auf und verstärken, was Büchner von den verzweifelten Lebensumständen der „armen Leut’“ erzählt. Und die 17 Lieder stören nicht, bieten eher eine zweite Kommentarebene. So in den Songs Misery’s the river oft he world. /  Everybody row! / Everybody row! … und in diesem Elend müssen sie alle rudern, aber ein Woyzeck muss auch noch im Himmel bimmeln helfen, denn  … God′s away, God's away, God′s away / On Business, business. Woyzeck bleibt nur die düstere Erkenntnis -

Everything goes to hell, anyway.

Was unserem Protagonisten in Vorherbestimmung im „grässlichen Fatalismus“ eines Mühlrads widerfährt, macht uns noch heute schwindeln vorm Abgrund Mensch. Es ist ein fantastisches, aggressives, ehrliches Stück, aber vor allem ein zutiefst zeitlos-politisches.

D.Tews/LK12D